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Sehnsucht nach Rückkehr

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Inhalt / Worum es geht

Sehnsucht nach RückkehrAlois Schmidt, ein Mann in den besten Jahren, kommt nicht zur Ruhe. Weder das Leben in gesicherten Verhältnissen, noch die Ehe mit seiner Frau Ingrid, die er liebt, noch die Geburt der gemeinsamen Tochter Natascha können ihm das Gefühl nehmen, sein Leben zu verpassen. Während sein Beruf als kaufmännischer Angestellter ihm außer einem geregelten Einkommen nichts zu geben vermag, sieht er in dem von erfolgloser Leidenschaft zur Musik geprägten Dasein seines Freundes Billi Seifert das bessere Los. Ein Künstler, so glaubt Alois, müsse allein durch seine Kreativität die Befriedigung finden, die einem Kaufmann, der nur mit dem geschäftlichen Teil des Lebens in Berührung komme, immer verwehrt bleibe.
Auf der Jagd nach Skandalen, die Billis Jazzband endlich zum Erfolg verhelfen sollen, gerät auch Alois unbeabsichtigt in die Schlagzeilen, was ihm berufliche und private Schwierigkeiten einbringt. Seine Frau wirft ihm vor, ein Herumtreiber zu sein, ihm, Alois, der sich zeitlebens eingeengt fühlte – als Kind durch den ihn tyrannisierenden Vater und als Mann durch gesellschaftliche Zwänge. Enttäuscht von einem Leben, das ihn nie teilnehmen lässt, verlässt er seine Familie mit dem Vorsatz, endlich all das zu tun, was er schon immer hatte tun wollen.

„Als er auf die Straße ging, um Zigaretten zu holen, wusste er noch nicht, dass etwas in ihm zerrissen war, etwas das ihn ein Leben lang festgehalten hatte wie einen Hund an der Leine. Er konnte den verpassten Zug des Lebens nicht einholen, weil diese erbarmungslosen Fäden ihn am aufspringen hinderten. Er wusste nicht, was jetzt kommen würde, aber fühlte genau, dass nichts mehr sein würde, wie es einmal war.
‘Eines Tages werde ich fortgehen’, hatte Alois einmal zu seinem Vater gesagt. Erst an diesem Abend, als der gescheiterte Ehemann und Vater Zigaretten holen ging und nicht wiederkam, hatte Alois Schmidt sein Versprechen wahrgemacht. Es stand nirgendwo geschrieben, nur in seiner Geschichte, deren Autor er selbst und nicht sein bisheriges Schicksal war. Der Mann, der da weinend durch die nächtlichen Straßen schlich, trug den Kummer des Kindes in sich, das von zu Hause ausgerissen war. Aber Kinder können keine Väter sein und Kinder kehren fast immer wieder nach Hause zurück.“

Längst verdrängte, aber nie vergessene Bilder werden wach, als er im Bordell seine nackte Begierde zu befriedigen versucht. Der Plan, die Liebe seiner Schwester Susanne zu seinem Freund Billi erneut aufflammen zu lassen, scheitert kläglich. Alois hatte fest daran geglaubt, dass seine Schwester gar nicht anders könne, als sich erneut an Billi zu klammern, nur deshalb, weil der sie einst den schmerzlichen Verslust ihrer Mutter vergessen ließ. Aber nachdem er sein verlassenes Elternhaus nocheinmal aufgesucht hat, muss er sich eingestehen, dass nicht seine Schwester Billi benötigt, sondern vielmehr er selbst seine Frau Ingrid. Er hat keine Wahl, muss erkennen, dass er trotz aller erlebter Unzufriedenheit sich nicht von seiner Frau lösen kann. Nur eines glaubt er endlich erkannt zu haben, nämlich, dass er ein Leben lang an den Fäden seines Vaters hing, unter dessen Gehorsam er so sehr hatte leiden müssen.

Zu seiner Frau zurückgekehrt, macht Alois eine schlimme Zeit durch, nachdem er ihr jammervoll seine Sünden offenbarte:

„Alois als geständiger Triebtäter, in Reue den Missbrauch seines Gliedes in fremder Scheide anprangernd, ein des Ehebruchs Angeklagter, der sich im Affekt, von niederen Trieben bewegt, in grausamer Treulosigkeit am falschen Körper verging und nach vollbrachter Tat in Scham und Asche versank.“


 

Aber trotzdem er das Vertrauen seiner Ingrid zurückgewinnt, nimmt sein Schicksal unweigerlich einen verhängnisvollen Verlauf. Es stellt sich schließlich heraus, dass seine Schwester doch noch jene Entscheidung trifft, die Alois vorausgesehen hat: Sie kehrt zu Billi zurück. Durch die jahrelange Ehe an der Seite eines Mannes, der ihr zwar Geborgenheit geben konnte, den sie aber nicht liebte, hatte sie sich von den Ketten gelöst, an denen Alois noch immer zappelte: Es war nämlich nicht der Vater, dessen Herrschaft über den Tod hinaus das Leben seiner Kinder regierte, sondern es war die zurückgehaltene Liebe der Mutter, die nur unter der Bedingung des Gehorsams gegenüber dem Vater zu haben war. Die Schwester hat sich davon befreit und kann nun Billi lieben, ohne sich an ihn klammern zu müssen, aber Alois Gefühle fliehen in die falsche Richtung: Alois will zurück, will sich die Liebe seiner Frau mit einem unnutzem Gehorsam erkaufen, wie er sich damals die Liebe seiner Mutter erkämpfen musste.
All das macht ihn unfähig, seinen Beruf als Kaufmann auszuüben, treibt ihn in den Bankrott und lässt ihn zur Flasche greifen, zum Alkohol, der seine geheimen, verfälschten Triebe an den Tag bringt.

„Die etwas ziellose Wohnungsinspektion führte Alois schließlich auch in das eheliche Schlafgemach, wo sein Blick unvermittelt auf das rote Negligee fiel, das Ingrid auf den gemachten Betten liegen gelassen hatte. Der seidene, halbdurchsichtige Umhang verlieh seiner Gattin eine verführerische Erscheinung. Er liebte dieses Kleidungsstück an ihr, weil es ihre weibliche Figur so anmutig betonte, oder das, wie sie sich ausdrückte, was nach Nataschas Geburt davon übriggeblieben war.
Langsam strich seine Hand über den Stoff, während die andere das Glas zum Mund führte. Sogar die Kleidung hat noch etwas erotisches, nachdem Ingrid sie abgelegt hat, ging es ihm durch seinen angeduselten Kopf.
Instinktiv begann er sein Hemd aufzuknöpfen.
Im Trance legte er seine Kleidung ab und streifte sich das Negligee über, dabei zärtlich seinen eigenen Körper streichelnd. Der Versuch, Ingrids hochhackige Schuhe anzuziehen, scheiterte an der Größe seiner Füße. So saß er da auf der Bettkante, trinkend, streichelnd, in Frauenkleidung gehüllt, sich schämend und doch nicht begreifend, warum das so geschah. Es war ein schönes Gefühl, war prickelnd erotisch, war ein bisschen lustvoll sündig. Er, in ihre zweite Haut geschlüpft, fühlte sich zwitterhaft erregt. Zitternd zog er den dünnen Stoff an seinen Schenkeln hoch, als die Tür aufging und die eigentliche Trägerin dieses Kleidungsstücks vor ihm stand.
Angst spiegelte sich in Ingrids Augen, als sie ihren Mann so sah. Schnell schloss sie die Tür hinter sich, aus Furcht, dass Natascha ihr Spiel unterbrechen und ebenfalls dieses Zimmer betreten könnte und sehen, wie lächerlich ihr Vater jetzt aussah.
‘Was um alles in der Welt tust du da, Alois?’
Er hatte sie nicht kommen hören, so sehr hatte ihn dieses leichte Gewand betört. Schamesröte schoss in sein Gesicht und mit der Verzweiflung eines beim Onanieren ertappten Schuljungen, versuchte er sich von dem roten Fetzen zu befreien. Aber es war längst zu spät. Sie hatte ihn so gesehen. Wie hätte er ihr die Situation erklären sollen, wusste Alois doch selbst nicht, was in ihn gefahren war.
‘ Es ist nichts passiert, Ingrid, war nur so eine Art Anprobe, brauchst dir wirklich nichts dabei zu denken’, wehrte er ab.
‘ Du machst mir Angst, Alois. Seit Wochen geht das nun schon so, dass du hier zu Hause herumsitzt und trinkst und dich immer komischer benimmst. Das ist doch nicht normal, was Du da eben getan hast.’
‘Ich hatte nur Sehnsucht nach dir. Du warst nicht da. Was blieb, war Dein Nachthemd. Es ist doch nichts passiert.’

Er versteht das nicht mehr und je weniger er versteht, desto unsicherer wird er und desto verzweifelter klammert er sich an Ingrid, die das zerstörerische in seiner Liebe erkennt, ihm aber nicht zu helfen vermag. Schließlich kommt es zur tätlichen Auseinandersetzung, bei der die Gattin und das Kind nur durch Zufall unversehrt entfliehen können. Der völlig seiner Psychose erlegene Alois Schmidt muss eingeliefert werden in eine geschlossene Anstalt, wo er unter Aufsicht von Pflegepersonal, seine irrationale, zwanghaft-sehnsüchtige Rückkehr weiterspinnt, indem der nie vergessene, sündhafte Wunsch zum Vatermord sich für ihn an der Person seines ehemaligen Chefs verwirklicht und so den unterdrückten Schuldkomplex zu Wort kommen lässt.

Psyschologischer Hintergrund

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