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Im Schatten der Liebe

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Silvia

Im Schatten der LiebeSilvia sah zu Boden. Ihr langes blondes Haar verdeckte ihr Gesicht. Die Hände in die Hosentasche gesteckt, schwieg sie, und Rainer, der sie nicht aus den Augen ließ, fragte weiter mit einer weniger heftigen als erstaunten Stimme:
„Was ist los mit Dir? Da stimmt doch etwas nicht, das ist dir doch nicht über Nacht ein-gefallen. Dass du dein Studium hinschmeißen willst, hast du mir auch schon Mal mit lächelndem Gesicht erzählt. Das hat dich nie umgeworfen.“
„Vielleicht hast du Recht“, flüsterte Silvia mit ernstem Gesicht, „Es geht auch nicht eigentlich um die Klausuren oder das Studium, es ist vielleicht etwas ganz anderes. Sieh Mal, als ich von zu Hause wegkam, hatte ich zwar meinen Willen durchgesetzt, aber meine Eltern waren ... ich meine, sie haben sich ohnehin oft gestritten und als ich dann noch meinen Dickkopf durchsetzte, wurde es zu Hause noch schlimmer. Und nun studiere ich und frage mich jeden Tag, für wen ich das tue. Alles für mich? Wofür lebe ich dann? Wofür lebe ich, wenn ich keinem Menschen auf der Welt etwas geben kann? Wem, um alles in der Welt, bin ich von Nutzen?“

Rainer

„Entschuldigen sie bitte... ich wusste nicht, habe nicht geahnt, dass es so schlimm steht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich wünsche Silvia von ganzem Herzen das Allerbeste. Sie hat viel Kraft, ich meine, so schnell lässt sie sich das Leben nicht nehmen, nicht Silvia, bestimmt nicht. Ich glaube, dass sie eine Chance hat.“ Rainer reichte ihnen die Hand, während Silvias Mutter ihm zunickte und schluchzend um seine Fürbitte warb [...]
Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb er stehen und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Da war kein einziger Gedanke in seinem Kopf, nur Rauschen und Dröhnen. Immer noch konnte er nicht begreifen, was er erfahren hatte. Er sah Silvia irgendwo hinter diesen Mauern bewusstlos liegend und angeschlossen an Schläuche, die ihr Herz künstlich antrieben. Dann erschien ihm nur ihr Gesicht, zunächst verschwommen, dann klar und deutlich, und schließlich hörte er ihr Lachen, das ihm gestern noch das Leben versprach und in einem Abgrund verhallte. Immerzu ihr Gesicht, ihr Lachen. Rainer rannte die Treppe hinab, durch den unteren Gang an der Pforte vorbei und durch den Ausgang in den grünen Krankenhauspark, wo Wind und Sonne, Bäume und Blumen die Luft mit Leben erfüllten.

Die Mutter

„Ich verstehe das nicht, warum er sich so verhält“, meinte Rainers Mutter, „lässt sich einfach so schnell umwerfen und schmeißt alles hin. Natürlich ist das schlimm, wenn ein so junges Mädchen plötzlich schwerkrank daliegt, aber das verlangt nur um so mehr von ihm, dass er stark ist und das Beste hofft. Aber er läuft einfach weg, als ob ihm alles egal wäre... und außerdem ist es ja auch nicht sein Mädchen, ich meine, sie ist nicht seine eigentliche Freundin, mehr doch wohl eine gute Kameradin. Er hat keinen Grund, sich so anzustellen, das hat keine Art. Immer solch verrücktes Zeugs im Kopf und keinen Gedanken daran, wie es weitergehen soll. Ich war von Anfang an gegen das Philosophie-Studium, das bringt doch nichts, das ist doch kein Beruf. Und dann diese extremen Ideen, lauter Flausen. Er will selbständig sein und vergisst dabei seine Verantwortung.“

Elsa

„Nun komm schon, Elsa“, drängte sie, „stell dich nicht so an.“ Rainer fragte sich später, warum er sich schon in diesem Augenblick zur Tür umgewandt hatte. Vielleicht war es nur eine Ahnung oder Erinnerung, die der weibliche Name in ihm geweckt hatte.
Sie trat ein. Sie war es. Rainer war irritiert, glaubte, sich täuschen zu müssen. Als sich jedoch ihre Blicke trafen, gab es keinen Zweifel mehr. Sekundenlang tauchten die alten Gefühle auf, Liebe und Hass, Hoffnung und Enttäuschung. Er hatte nichts vergessen von der Beziehung, die zwischen ihnen einmal bestanden hatte, aber die Gefühle waren mit der Zeit verblasst, waren gleichgültig geworden, ohne Bedeutung. Es war einmal gut, und es hatte einmal weh getan, aber letztlich war es vorbei. Kaum, dass er die versunkenen Gefühle heraufbeschwörte, lösten sie sich wieder auf zu einer nebligen Reminiszenz, – fern und unbedeutend.

 

Angelika

Sie fragte ihn, warum er keine Bilder an den Wänden hängen habe, die es doch wenigstens ein bisschen gemütlicher machen könnten, und er erklärte ihr, dass dort einmal viele Bilder gehangen hätten, die aber jetzt in dem großen Schreibtisch lägen, weil er sie nicht mehr sehen könne. Es waren Bilder, die auf Silvias hölzerner Staffelei entstanden waren. Angelika sah die Bücher, die überall verstreut lagen und las darin querbeet. Es waren Bücher von Henry Miller, es war ein Paperback über den ‘Ekel’ von Jean Paul Sartre, und es war der ‘Steppenwolf’ von Hermann Hesse. Sie fragte ihn, warum er nur so grausame Bücher lese, und er antwortete ihr, dass die anderen Bücher bei den Bildern lägen, weil er sie nicht mehr lesen könne, weil diese Bücher die wirklich grausamen Geschichten erzählten. Weil deren Autoren es sich viel zu einfach machen würden. Dann fragte sie, warum es so kalt sei, warum er die Heizung nicht anstelle und warum nichts zu Essen im Kühlschrank sei und alles so unordentlich und schmutzig. Er antwortete ihr, dass er kein Geld mehr habe, um zu heizen oder etwas anderes zu kochen als Suppe und Kaffee. Weil er das Geld seiner Eltern vertrunken und verspielt habe. Er sagte, dass er keine Lust habe, Ordnung zu halten, weil er doch immer wieder alles durcheinander bringe, wenn er betrunken sei, und er sei oft betrunken. Er bat sie, sich nichts daraus zu machen und trotzdem noch ein wenig bei ihm zu bleiben.
Dann schwiegen sie beide, bis Angelika Mut fasste und ihm leise ihr Geheimnis zuflüsterte:
[...] Sie sah eine Träne über seine Wange laufen und stand auf, um sich an seine Seite zu setzen und mit ihm die Decke zu teilen. Rainer weinte an ihrer Schulter. Er hatte schon so lange nicht mehr weinen gekonnt, und jetzt tat es so gut, ihre Hand zu spüren, die mit leichter Zärtlichkeit sein Haar streichelte. Sie hielt ihn fest, weil sein ganzer Körper zitterte und flüsterte in sein Ohr.

Peter Ralkowski

Fast wie ein Eisläufer versuchte er, die spiegelglatte Fahrbahn gleitenden Schrittes zu passieren. Plötzlich sah er zwei Lichter auf sich zukommen. Sie kamen zwar langsam um die Biegung, aber genau in seine Richtung. Der Fahrer des Wagens hatte genug Zeit zum Bremsen, aber das Auto reagierte nicht, weil die Reifen sofort blockierten und über da Eis weiterrutschten. Der Mann auf der Straße konnte nicht mehr schnell genug weg. Er hatte die Lichter zu spät gesehen. Sein Körper knallte auf die Motorhaube, gegen die Wind-schutzscheibe und fiel dann mit einem dumpfen Schlag zu Boden, wo er regungslos liegen blieb. [...]
Der Fahrer rannte zum nächsten Wohnhaus, das an die Gefängnismauer grenzte, um von dort aus einen Krankenwagen zu alarmieren. Während er lief, machte er sich Vorwürfe und versuchte, den Unfallablauf zu rekonstruieren. Ich muss geschlafen haben, dachte er, sonst hätte ich ihn doch schon an der roten Jacke erkannt. Aber warum ist er auch ge-laufen? Und wo wollte er überhaupt hin? Die Straße führt stadtauswärts, da draußen ist doch kein einziges Haus mehr!

Ralf

„Nein? Ist es nicht? Es ist viel zu einfach, um es zu verstehen, was? Ihr redet herum von Liebe, aber ihr bringt es nicht in die Reihe. Sie würde nicht kommen, weil sie glaubt, dass es unmöglich gehen kann, und du wärest ebenso wenig zurückgekommen. Angelika ist wirklich ein prima Mädchen, und es lag nicht zuletzt an ihr, dass ich heute weiß, dass keine Sache der Welt Liebe unmöglich machen kann. Du kannst mir ruhig glauben, dass ich alles versucht habe, aber du sitzt bei ihr drinnen und wenn sie dich auch aus ihrem Kopf verdrängen kann, so reißt du immer noch an ihrem Herzen. Ich könnte dir eins auf die Fresse hauen – ich habe lange überlegt, ob ich es tun soll – aber es wäre sinnlos. Gegen Liebe kann keiner etwas tun. Sie bleibt stärker. Ich könnte dich hassen, aber das brächte mir Angelika auch nicht zurück.“

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