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Julie und die läppische Zeit

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Inhalt / Worum es geht

Julie und die läppische ZeitDer Ich-Erzähler, ein Werbetexter mit hohen Karriere-Ambitionen, lernt im Krankenhaus eine ungewöhnliche Mitpatientin namens Julie kennen. Er ist Opfer eines Verkehrsunfalls, sie leidet an Asthma und durch Zufall begegnen sie sich im gemeinsamen Raucherraum zwischen der chirurgischen und inneren Abteilung. Er spricht sie an, aus Lust am unbeschwerten Geplänkel, in der vagen Hoffnung auf einen Flirt. Aber ihre Reaktion macht die Koketterie unmöglich. Das von ihm beabsichtigte Geplauder endet im existentiellen Disput. Die Welt ihrer Anschauungen ist ihm gänzlich unbekannt. Sie ist optimistisch und er zynisch, sie will das Leben, aber nicht um jeden Preis, er hängt am Dasein, aber zweifelt an dessen Wert, sie setzt auf Gefühle, er auf Berechnung, sie urteilt leidenschaftlich und grausam, er beflissentlich rücksichtsvoll und höflich.

Julies extreme Anschauungen in Bezug auf das menschliche Schicksal, auf Glück und Lebenszeit faszinieren ihn so sehr, dass sie ihn auch nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus weiter verfolgen. Ihre radikalen Stellungnahmen ziehen ihn so sehr in ihren Bann, dass er seine Aufgabe als Werbetexter zweifelnd in Frage stellen muss. Als er in seinen beruflichen Alltag zurückkehrt, ist ihm seine eigene Position entfremdet. Er durchlebt eine Sinnkrise. Der missliche Umstand, dass die Werbung, die er schreibt, letztendlich nur dazu taugt, Menschen zu sinnlosem Konsum anzutreiben, ist ihm nicht neu, aber das Wissen darum drängt plötzlich immer mehr in sein Bewusstsein. Er leistet schlechte Arbeit, während er nur aus eitler Höflichkeit darauf wartet, sie wiederzusehen, bis sie ihm in einem kurzen Brief ihre Sehnsucht nach ihm gesteht und um eine neuerliche Begegnung bittet.

Aber das erneute Zusammentreffen endet in einer jähen Enttäuschung. Unverhohlen verlangt sie von ihm die völlige Hingabe, die Bereitschaft, in ihre Welt der Gefühle bedingungslos einzutauchen. Er, der mit beiden Beinen im Leben steht, der den beruflichen Erfolg anvisiert und ganz nach oben will, kann sich nicht entscheiden und folgt ihr unentschieden willenlos, nahezu hörig.


 

Gemeinsam unternehmen sie einen Urlaub am Meer, der „größten Gebärmutter dieser Erde“, und es kommt zur Partnerschaft. Sie zieht bei ihm ein und er besorgt ihr einen Job in der Agentur, in der er selbst beschäftigt ist. Aber ihr Zusammenleben gestaltet sich äußerst schwierig. Sie ist nicht bereit, sich an gesellschaftlichen Konventionen zu orientieren. Sie spielt mit Erotik, ohne den Beischlaf auszuüben. Sie isoliert sich von Kollegen, deren unverfängliches Smalltalk sie ablehnt. Sie schockiert seine Bekannten und zieht ihn gleichzeitig mit annähernd perversen Experimenten immer mehr in seinen Bann. Er stellt fest, dass im Umgang mit ihr die manierliche Etikette zur Farce wird. Sie ist nicht gesellschaftsfähig und gerät dabei in ein für ihn unerträgliches Abseits. Als es ihm schließlich zuviel wird und er ihr droht, sich zu trennen, verwandelt sie sich in überzogener Weise in ein braves Hausmütterchen, das beinahe lächerlich wirkt. Aber sie kann die Fassade nicht aufrecht erhalten und flippt aus, randaliert in der Wohnung und verliert den Job.
Keinen anderen Ausweg wissend, bewirbt er sich für ein Auslandsstudium in Amerika und zieht sich so zunächst aus der Affäre. Aber die von ihr gesäten Zweifel am Sinn seiner beruflichen Tätigkeit blühen wieder auf und lassen ihn nicht los. Ihr hörig folgt er ihrem Befehl, bricht das Studium Hals über Kopf ab und kehrt zurück zu ihr. Immer tiefer gerät er in den Sog ihrer extremen Weltanschauung. Als „die Krone der Schöpfung“ wird sie schwanger und gebiert ihr gemeinsames Baby, das nach kurzer Zeit einem Kindstod erliegt.

Dieses Schicksal überfordert seine geliebte Julie, die alles vom Leben verlangt und der die Anzahl der erreichten Lebensjahre allein nichts wert ist – ohne Hingabe und Leidenschaft nichts weiter als das Resultat läppischer, verplemperter Zeit. Sie gibt auf. Niemand kann ihr mehr helfen. Sie erliegt nicht einem tatsächlichen Suizid, sondern stirbt willenlos weg. Als er sich nach ihrem Tod pietätlos betrinkt, erkennt er, dass er sich für sein ungebührliches Verhalten vor niemandem zu rechtfertigen braucht. Denn auch wenn „die Mehrheit“ anders urteilt, aus Julies Sicht war ihr Weg nur konsequent und keine tragische Blasphemie. Sie hat ihr Leben gelebt und ihm gezeigt, dass eine „Berührung der Seelen“ jenseits von Raum und Zeit möglich ist.

Julie: „Der Mensch soll leben, ja, das soll er, er soll gut leben und seinen Teil haben – aber er muss nicht achtzig Jahre alt werden...“
„Der Mensch hängt am Leben – vielleicht auch du viel mehr als du jetzt behaupten magst.“
„Mag sein. Menschen machen Fehler und handeln wider ihrer ureigensten Überzeugungen – aus Angst vor dem Tod.“
„Das ist Unfug“, entgegnete ich. Und dachte: Was für ein Geschwätz!
Es war kein Geschwätz. Ich kannte Julie noch nicht. Ihr Weltbild zergliederte das Leben jenseits von Raum und Zeit in Kategorien, die ihr inmitten der Realität offenbar einen Traum zu leben gestatteten. Dachte ich damals. Es war kein Traum.

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