Blackout
Ein-Mann-Theaterstück in fünf Akten
Das Konzept - die Idee
1. Gliederung
1.1 Spirale
Der Aufbau des Stücks beschreibt eine spiralförmige Gedankenkette.
Ausgehend von einer Ursache, die außerhalb der individuellen
Konflikte des Protagonisten liegt, nämlich ein Verkehrsunfall,
bei dem er zufällig als Zeuge zugegen war, ersinnt der Hauptdarsteller
eine auf seine eigene Lebensgeschichte bezogene Theorie, in der
er seine Lebensproblematik aufzuarbeiten versucht. Die unbedeutende
Ursache gibt den Anstoß zur Retrospektive, die immer weitere
Kreise zieht und existenzielles Ausmaß annimmt.
Der Bogen spannt sich von der detaillierten Retention (Erinnerung)
zur großen Retrospektive, in der die Einzelteile zu einem
übergeordneten Erlebnisprofil verschmelzen, wobei die Details
entsprechend des Spannungsbogens neu koloriert werden. Das Tagebuch
der Erinnerungen wird zum Drehbuch des Lebens, der Protagonist erhebt
sich zum Regisseur seiner eigenen Geschichte, offenbart aber im
selben Atemzug seine Ohnmacht und Inkompetenz, diese Geschichte
gemäß der wahren Begebenheiten fortzusetzen. Die Erinnerung
an die Vergangenheit wird degradiert zu einer Interpretation seines
Lebens, die am Ende nichts weiter ist, als eine Projektion seiner
Wünsche, sich selbst im entsprechenden Licht zu sehen. Weil
er unfähig ist, sich zu erinnern, vermag er seine Identität
nicht mehr festzuschreiben. Indem die Reflexion der eigenen Erlebnisse
zu einem spekulativen Scherbenhaufen zerfällt, enthebt er sich
auch des Anspruchs, sich selbst und andere glaubhaft zu identifizieren
und daraus logische Schlüsse zu ziehen.
2.2. PSYCHOGRAMM
Das Problem des Protagonisten ist seine Verunsicherung, aus der
Angst heraus, seine Person und seine Wahrnehmungen weder im kleinsten
noch im größten Zusammenhang richtig zu interpretieren.
Er gerät in phobische Ekstase, indem er seinen eigenen Ankläger
spielt, der sich metaphorisch in der Person des Staatsanwalts widerspiegelt
und seine Zeugenaussage auseinandernimmt. Er degradiert seine eigenen
Wahrnehmungen zu visionären Projektionen seiner eigenen Wunschvorstellungen.
Aber seine Entrüstung entpuppt sich als das Resultat verdrängter
Gefühle eines Minderwertigkeitskomplexes. Die Lebenskrise entwickelt
sich.
Was ihn quält, ist die Erinnerung an seine Mutter, die ihn
doch immer gemahnte, Wichtiges umgehend zu erledigen, um nichts
zu vergessen und auf diese Weise sein Leben in den Griff zu bekommen.
Jetzt führt er sich die Unzulänglichkeit seiner Erinnerung
vor Augen - und büßt für seinen kindlichen Ungehorsam.
Er kapituliert letzten Endes vor seiner Unfähigkeit, sein
Leben an objektiven Maßstäben auszurichten. Er vermag
weder seine Erinnerung noch die durch seine Erinnerung geprägte
Erfahrungswelt zu steuern. Weil die Vergangenheit sich jeder authentischen
Überprüfung entzieht, vermag er auch seine Handlungen
nicht über die Gegenwart in die Zukunft kontrolliert fortzusetzen.
Und um Kontrolle geht es ihm vor allem: Das ist die neurotische
Ausprägung seines Komplexes: Er will unbedingte Kontrolle über
sein Leben, seine Gedanken, seine Gefühle, - seine Erinnerungen.
Wenn er sie kontrollieren könnte, müssten Mutters Prophezeiungen
nicht wahr werden. Er könnte gegensteuern, auch ohne ihren
Rat befolgen zu müssen. Aber natürlich schafft er das
nicht. Er ist ja ein Schussel.
Er ist sich seiner nicht sicher, hat kein Vertrauen in sich, weshalb
er sich nicht hinzugeben vermag: Gefangen in seinen eigenen Vorbehalten
scheitert er an einem Leben, das Entscheidungen abfordert. Er bleibt
stecken im Morast latenter Vorwürfe an sich selbst, konsequent
seine Identität in Frage stellend, in einem Dickicht aus Zweifeln,
hinter dem sich das Abbild seiner Mutter als Fanal seines schlechten
Gewissens verbirgt: Sie ist der vergiftete Quell seiner neurotischen
Zwanghaftigkeit.
Aus Verzweiflung überhebt er sich in seinem alkoholisierten
Wahn vom Zeugen zum ohnmächtigen Richter, der alles unter Aufsicht
stellen will: Verurteilen zu einem endlich kontrollierten Leben
im zeitlich und räumlich geschlossenen Strafvollzug.
2.3. DETERMINISMUS
Die Spirale gipfelt in einer Art philosophischen Determinismus,
in dem seine Person zur völligen Bedeutungslosigkeit degradiert
wird. Alles ist ein System aus Wirkung und Ursache, und er selbst
nicht einmal dafür genug, nicht einmal gewichtig genug, um
anderen Menschen, weder seine Partnerin noch seiner Mutter, Ursache
zu sein. Er erklärt sich für gänzlich befangen, kapituliert
gleichzeitig vor seiner eigenen Rebellion, indem er gehorsam seinen
„Ranzen“ schon am Vorabend packt, um nicht am nächsten
Tag die Hälfte zu vergessen. Er sieht sich außerstande,
sein Leben gemäß einer wahren Begebenheit anzunehmen.
Er zollt damit den Tribut für seinen Ungehorsam, nämlich
der Leugnung jeglicher Verantwortung für irgendetwas.
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2.4.
FINALE SYNTHESE
Der spiralförmige Spannungsbogen, also die sich dramatisch
ausweitenden Schlussfolgerungen der aufgeführten Thesen verbindet
sich im finalen Klimax mit der psychologischen Disposition des Protagonisten.
Die neurotische Veranlagung, in exzessiver Wahrheitssuche seine
Komplexe zu rechtfertigen, gipfelt im Determinismus seines kognitiven
Modells. Die Information verdichtet sich zunehmend, - von Akt zu
Akt. Aus dem Augenzeugenbericht wird ein Lebensrückblick, aus
dem beiläufig erwähnten Ratschlag seiner Mutter erwächst
die feindliche Verneinung ihrer realen Identität überhaupt:
Mutter wird zur schizophrenen Posse, von der er nur noch die Karikatur,
das Abbild seiner eigenen Projektionen wahrzunehmen glaubt.
Die Verwechslung von der Mutter und der Geliebten, die in seiner
Psyche offensichtlich dieselben Rollen besetzen, ist symptomatisch
im doppelten Sinn: Einerseits veranschaulicht das die Konsequenz
seiner Hypothesen und andererseits entpuppt sich das neurotisch
zwanghafte Verhaltensmuster als angehende Psychose. Die Metamorphose
vollzieht sich durch den progressiven Realitätsverlust. Ohnmacht,
Wahn und Hilflosigkeit sind die Folge: Das reale Unfallgeschehen
am Schluss des fünften Akts wird ignoriert.
3. DAS REKURSIVE VERFAHREN
Das ausweglose Verhängnis, die dramatische Pointe des heldenhaften
Unterfangens, nämlich die Unmöglichkeit, seine individuelle
Erinnerung unter eigener Perspektive zu analysieren, vermag nur
der Zuschauer, nicht jedoch der Protagonist selbst wahrzunehmen.
Der Protagonist sieht nicht, dass er beschreibt, was er im selben
Augenblick tut: Assoziieren, Gedanken aneinanderreihen. Er dreht
sich im Kreis einer Endlosschleife. Er wendet ein rekursives Verfahren
an, schlägt einen kognitiven Looping, der ihn in die Irre führt,
an ein Ende, das der Anfang war.
Denn nur aus der Perspektive von außen, von Zuschauerseite
also, kann die nächsthöhere Bedeutungsebene überblickt
werden: Indem der Protagonist die Gedankenentwicklung ihrer zwanghaften,
unwillkürlichen und nicht steuerbaren Dynamik entlarvt, legt
er sich selbst aufs Kreuz: Denn das, was er an Theorien und Modellen
über seine Kognition und an Metaphern und Hypothesen über
sein Wahrnehmungsvermögen entwirft, muss das Resultat eines
ebenso zwanghaften, unwillkürlichen und steuerlosen Unterfangens
sein. Die Einsicht nämlich, dass unsere Wahrnehmung uns betrügt,
erstickt an der eigenen Wahrheit. Die Einsicht selbst ist ja schon
Betrug. Und dieser absurde Kloß bleibt dem Protagonisten im
Hals stecken, ohne dass er ihn überhaupt erst zu Gesicht bekommt.
4. DER „KARDINALFEHLER“
4.1. URSACHE UND WIRKUNG
Dreh- und Angelpunkt des 5. Aufzugs ist die fatale Verwechslung
von Mutter und Geliebten, in deren Verhalten er dasselbe Muster
wiedererkennt. Er wendet, aufgrund seiner konsistenten Erwartungshaltung,
dasselbe Erlebnisraster an. Er sieht immer wieder dieselben Vorwürfe,
deren Ursache er selbst hervorruft. Es ist eine sich selbst erfüllende
Prophezeiung, wenn er feststellt, dass ihm niemand traut, weil er
sich selbst nichts zutraut. Die Mutter ist der Prototyp seines Antagonisten
(Gegenspielers), die sich abwechselnden Geliebten lediglich die
personifizierten Variationen. Diese Verwechslung ist der Kardinalfehler
seiner Erinnerung.
Ausgangspunkt war der Augenzeugenbericht und die damit verbundenen
Fehlleistungen: Täuschung, Interpretation, Verwechslung. Irrtümer
im Detail also. Aber die Fehlurteile ziehen weitere Fehleinschätzungen
nach sich. Was im Speziellen nicht funktioniert, weitet sich bei
Anwendung im großen Stil zum Disaster aus: Zu Beginn repräsentierte
der Kardinalfehler lediglich die eher beiläufige Verwechslung
von Abläufen eines Unfallgeschehens. Am Schluss äußert
sich dasselbe Phänomen in einer Form von massivem Realitätsverlust:
die Verwechslung von der Mutter und der Geliebten.
4.2. REGEL UND AUSNAHME
Die umfassende Retrospektive verliert jeden Bezugspunkt. Erinnerung
bedeutet Irrtum - Täuschung durch Erfahrungen, die auf falschen
Interpretationen beruhen.
Was natürlich selbst eine Fehleinschätzung ist, denn
1. liegt die Ursache weder in den detaillierten Irrtümern noch
in der globalen Fehlinterpretation, sondern in der neurotischen
Wahrnehmung überhaupt: Der Wahrnehmung der angeschlagenen Psyche
des Protagonisten, der vor lauter Unsicherheit alle kognitiven Register
zieht, um sich seiner Eigenverantwortung zu entziehen: Denn wer
sich nicht erinnern kann, vermag auch nicht falsch auszusagen. Der
kann nicht einmal lügen!
2. wird hier die Ausnahme zur Regel erhoben, anstatt sie zu bestätigen.
Und das führt zum logischen Zirkelschluss. Wir verlassen uns
auf Erfahrungen, die auf Erinnerungen beruhen, die sich in der Regel
auch als zuverlässige Wahrheiten bewähren. In der Regel
funktioniert das. Was ja auch vom Protagonisten nicht bestritten
wird. Aber es gibt Ausnahmen: Es gibt Erwartungen, die sich nicht
einstellen, Erinnerungen, die uns täuschen und Urteile, die
auf verwechselten Beweisen zu unrecht fußen. Aber das sind
eben die Ausnahmen. Und Ausnahmen bestätigen ihre Regeln, sie
widerlegen sie nicht. So ist am Ende tatsächlich die Verwechslung
der Kardinalfehler des Helden: nämlich die Verwechslung von
der Regel und ihrer Ausnahme.
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