Die Glaskugel
Kurzgeschichte • 32.300 Zeichen • ca.
20 Buchseiten
Er sitzt nachts um drei in einer verkommenen Kaschemme und sinniert
vor dieser absolut traurigen Kulisse über gebrochene Herzen
und die Unsterblichkeit der Seelen. Achmed, der scheinbar grobe,
völlig unsensible Wirt, hört sich widerwillig das Gleichnis
von der Glaskugel an, die zerbirst und in deren einzelnen Scherben
sich dieselbe Welt immer wieder erneut spiegelt. Es geht um Karma
und die Frage, warum Herzen brechen, aber Seelen niemals vergehen.
No beginning, no end. Eine Botschaft, die sogar den Kneipwirt aus
seiner geschäftlichen Lethargie herausstößt und
aufhorchen lässt: Warum brechen Herzen, aber gehen Seelen niemals
unter?
Achmed war der derbste Wirt, den ich je gesehen
hatte, er war so grob, dass ihm seine rohe Verkommenheit förmlich
in die Fresse gemeißelt war, und zwar in Form von Tattoos,
deren Motive aufgrund seiner schlaffen Gesichtsmuskulatur nur noch
vage zu identifizieren waren. Es mochte sich um Totenköpfe
oder südländische Schönheiten halten, wie auch immer,
die verblassten Narben verunzierten sein ohnehin hässliches
Antlitz zu einer Visage, deren Unansehnlichkeit kaum zu überbieten
war. Allerdings war seine Beobachtungs- und Auffassungsgabe keineswegs
so getrübt, wie sein Äußeres an-nehmen ließ.
Wenn es um seine Wirtschaft ging, um das Einkassieren der Zeche,
war er ein Spür- und Windhund gleichermaßen. Diesbezüglich
entging ihm nichts. Trinkgeld war freilich gern gesehen, aber dennoch
keines Dankes wert. Darum ging es Achmed auch nicht. Er wollte sein
Auskommen haben und seine Ruhe vor den Bullen, das war wichtig,
denn nicht alles, was sich in seiner düsteren Eckkneipe abspielte,
wäre auf die Billigung der Ordnungshüter gestoßen.
„Alles wechselt, doch nichts geht unter.“
Ich sollte von vorne beginnen, aber da sich das Leben in einer Endlosschleife
bewegt, spielt es keine Rolle, wo du zu berichten beginnst. Das
Resultat bleibt dasselbe. Aber der Weg, das Ausrechnen, Spekulieren,
Kalkulieren, Analysieren und Abschließen dieser paradoxen
Rechnung ist ebenso lang wie steinig, ist unausweichlich. „Per
astra ad astera“ – über die Steine zu den Sternen.
Rechfertigung für jede Form der Askese bis auf die Knochen.
Habe ich von meinem Vater zu hören be-kommen, immer dann, wenn
mir der Sinn für die Notwendigkeit der Überwindung zur
Strebsamkeit abhandenkam. Und das geschah nicht gerade selten. Ebenso
dieser schalk-haft anmutende Imperativ, dass „sich nichts
auf der Welt ändert“.
Eben drum: Alles kommt wieder, alles wiederholt sich. Aber lernen,
lernen, muss das jeder für sich allein. Deshalb sind wir irgendwo,
irgendwann immer allein. Grausame Wahrheiten: Wir können unsere
Kinder nicht vor ihrem eigenen Unheil bewahren, sie müssen
schon selber auf die Fresse fallen. Ich habe diese Welt nicht eingerichtet,
aber wer immer das auch getan haben mag, er schien ein gewaltiger
Scherzbold zu sein.
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Ich trank in einem Zug das ganze Bier aus. Ich trinke
gerne Bier. Ich trinke gerne Alkohol. Ich habe ein Problem damit,
sonst säße ich auch nicht nachts um drei Uhr in einer
solchen Kaschemme. Aber trotz allem, auch wenn mir ein ganzes Heer
von Therapeuten, Analytikern und Selbsthilfegruppen das auszureden
versucht haben, es gibt Wichtigeres als trocken in die Kiste zu
springen, wie sie sich ausdrücken. Und deshalb habe ich es
ihm gesagt:
„Die Kugel ist dein Herz. Sie ist nicht deine Seele, die zerbricht
niemals, die ist ewig und unzerstörbar, aber dein Herz, –
das kann brechen, zersplittern und bluten. Ich weiß es: Herzen
können bersten, und nichts, nichts auf der Welt fügt dir
mehr Schmerz zu als ein gebrochenes Herz. Vielleicht wirst du daran
wachsen, vielleicht daran zugrunde gehen, hindern jedoch, verhindern
kannst du es nicht ... |